III. Entstehung und Produktionsgeschichte

Seit Anfang 1947 erteilten die britische Militärregierung (Control Commission for Germany – C.C.G.) und das britische Informationsministerium deutschen Filmschaffenden in der britischen Besatzungszone Aufträge zur Herstellung von Dokumentar- und Kurzfilmen, die politische, wirtschaftliche und soziale Fragen behandeln sollten. Diese Filme waren zum Teil für ein ausländisches, vor allem britisches Publikum gedacht, das über die Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland informiert werden sollte. Die Briten betrauten mit ihren Filmaufträgen Deutsche, weil sie damit rechneten, dass von Deutschen hergestellte Filme die Situation authentischer darstellen konnten, als wenn die Besatzungsmacht diese Filme selbst aufgenommen hätte, zumal deutsche Filmemacher mit einer stärkeren Kooperation von lokalen Behörden und Bevölkerung rechnen konnten.

Das Flüchtlingsproblem gehörte von Anfang an zu den Themen, die im Rahmen dieser Auftragsfilme behandelt werden sollten. Der entsprechende Auftrag erging an den jungen Kameramann, Autor und Regisseur Rudolf Kipp, der ein sechsseitiges Manuskript anfertigte und der britischen Film Section vorlegte. Das Projekt wurde bewilligt und finanziert, die ersten Aufnahmen fanden Mitte September 1948 statt. Dabei kam Kipp schnell zu dem Eindruck, dass die ursprünglich geplante Filmfassung, die auch einen optimistischen Schluss beinhalten sollte, dem Flüchtlingselend nicht angemessen gewesen wäre, und entschied sich daher, die Situation so wirklichkeitsnah wie möglich zu dokumentieren. Dies geschah mit Billi - gung und Unterstützung des britischen Filmoffiziers Peter Shankland. Kipp verzichtete bewusst auf schnelle Schnitte, Geräusch- und Musikvertonung und auflockernde Momente (siehe unten: Rudolf Kipp über seinen Film).

Im Winter 1948 waren die Aufnahmen abgeschlossen. Während der Film in Großbritannien unter dem Titel Report on the Refugee Situation, Jan. 1949 gezeigt wurde, trug die deutschsprachige Fassung den Titel Asylrecht. Diese Fassung wurde erstmals im Februar 1949 anlässlich einer ökumenischen Flüchtlingstagung in Hamburg vorgeführt. Im September des gleichen Jahres war Asylrecht auf der Biennale in Venedig zu sehen, wo er mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurde.

Kipp zufolge wurde Asylrecht in deutscher, englischer und französischer Fassung vertont und neben Deutschland und Großbritannien auch in den USA, in Norwegen, Schweden, Brasilien, Südafrika, Australien und in der Schweiz gezeigt. 1959 entstanden durch das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) bzw. in dessen Auftrag zwei kürzere Stumm- und Tonfassungen des Films, die unter dem Titel Flüchtlingsnot an der Zonengrenze vertrieben wurden (siehe hierzu: → IX. Die unterschiedlichen Fassungen des Films).

Rudolf Kipp über seinen Film

Um 1960, als Kipp im Auftrag des FWU eine Kurzfassung des ursprünglichen Films zusammenstellte, äußerte er sich rückblickend zur Entstehung von Asylrecht und erinnerte sich an die Begegnungen am Rande der Aufnahmen: „Zum ersten Mal seit dem Kriege erlebte ich wieder derart schicksalsbetroffene Gesichter, Ausdruck einer Verzweiflung, welche die äußerliche Jämmerlichkeit fast übersehen ließ, – die sich unbeeindruckt von Filmkamera und Scheinwerfern kundtat, unlenkbar für jeden Regisseur. Hier konnte die Kamera nur noch aufspüren, beobachten, Zeuge werden und geißeln. Ich bemühte mich um Sachlichkeit, verbot jedes Stellen von Situationen, die Anwendung ‚verschönernder‘ Filter sowie jede beabsichtigte Lichtmalerei.

Tagelang lauerte der Kameramann Erich Stoll bei Morgengrauen den illegalen Grenzgängern auf. Die Aufnahmen entstanden im Braunkohlengebiet von Offleben, südlich Helmstedt. Und viele Stunden brannten die stationär eingerichteten Scheinwerfer in den Lagern Eutin, Uelzen, Braunschweig und Schöningen, bevor ich meine Kamera auf die vorher beobachteten ‚Motive‘ richtete. Die wenigen Fahraufnahmen, die aus Gründen der Übersicht nötig wurden, probierte ich derart oft, dass die Flüchtlinge – nach Stunden – ihr Interesse an dem, was wir taten, völlig verloren. Auch das sparsame, fest eingerichtete Licht in den Verhörräumen brannte tagelang.

Zwei versteckte Kameras, von denen ich die eine bediente (die zweite fuhr Hans Böcker) ergaben die Möglichkeit, von der ‚Totalen‘ in direktem Schnitt ‚groß‘ auf die Gesichter eingehen zu können.“

Kipp betonte „den Verzicht auf rein filmische Gestaltungsmittel, wie rasanten Schnitt, optische Blenden, nachträgliche Geräuschvertonung etc., auf Mittel, die kommerzielle Filme leicht heute modern und schon morgen antiquiert erscheinen lassen. Deshalb wird im Text auch kein Bezug auf ‚heute‘ genommen, – das ja morgen schon wieder gestern ist.“

Zu seiner Rolle als Beobachter menschlicher Tragödien äußerte sich der Regisseur wie folgt:

„Ich gebe zu, mit diesen Aufnahmen die intimsten Anliegen mir fremder Menschen zur Schau gestellt zu haben, – wie ein Sensationsreporter, der ich nicht bin, und es war mir – weiß Gott – sehr schlimm dabei zumute. Die einzige Entschuldigung dafür ist vielleicht die, dass es mir sehr ernst war mit der Absicht, diesen Menschen zu helfen, auf meine Weise, mit diesem Film. Und man merkt es unserer Arbeit heute wohl an, dass die Kameras stets auf der Seite der Flüchtlinge standen.“

Prüfung von Aufnahmeanträgen im Durchgangslager Uelzen (E 166)

Prüfung von Aufnahmeanträgen im Durchgangslager Uelzen (E 166)

Aufgaben

  1. Nennen Sie Gründe, warum die Briten den von ihnen geplanten Film nicht selbst produzierten, sondern Deutsche mit der Herstellung betrauten. Berücksichtigen Sie dabei auch → M8: Zonenexekutivanweisung Nr. 10 und beschreiben Sie die Kompetenzverteilung zwischen deutscher Verwaltung und britischer Militärregierung hinsichtlich der Flüchtlingsfrage.
  2. Kipp distanziert sich von den inszenatorischen Mitteln des kommerziellen und unterhaltenden Kinos. Fassen Sie zusammen, auf welche filmischen Mittel er bewusst verzichtete. Arbeiten Sie heraus, welche Leitideen Kipps Arbeit an seinem Film bestimmten.
Sek II
  1. Benennen Sie den moralischen Konflikt, den Kipp empfand, während er die Notsituation der Flüchtlinge filmisch dokumentierte. Nehmen Sie Stellung zu seiner „Entschuldigung“.