I. Der Film „Asylrecht“ im Kontext von Flucht und Vertreibung

Unter der Bezeichnung „Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“ versteht man die über mehrere Jahre, mit unterschiedlichen Begleitumständen vollzogene Bevölkerungsmigration aus ehemals deutsch bzw. von deutschsprachigen Minderheiten besiedelten Gebieten auf die Nachkriegs-Territorien Österreichs, der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Übereinstimmende Merkmale dieser Bevölkerungsmigration waren der Zwang, unter dem sie erfolgte, sowie Enteignungen und zum Teil massive Gewaltmaßnahmen, die sie begleiteten (siehe auch → M1: Chronologie von Flucht und Vertreibung 1944–1949). Vorbereitet und legitimiert wurde die Vertreibung durch die von den alliierten Siegermächten ausgehandelte Nachkriegsordnung, die bestimmte, dass Ostpreußen, der Großteil Schlesiens und das Sudetenland der Sowjetunion, Polen und Tschechien zugeschlagen wurden.

Mit der Vertreibung verknüpft ist zum einen die Massenflucht von Deutschen aus den damaligen Ostgebieten des (Groß-)Deutschen Reiches in der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges – zum anderen die Übersiedlung von Personen aus der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in die westlichen Besatzungszonen zwischen 1945 und 1949. Dieser Übersiedlung lagen dabei unterschiedliche Motivationen zugrunde, da sie nur zum Teil aus politischen Zwängen erfolgte, häufig aber auch aus der Hoffnung heraus, in den Westzonen bessere Bedingungen für einen wirtschaftlichen Neuanfang zu finden.

Für den Grenzübertritt wurde zunächst ein Passierschein, später ein Interzonen-Pass benötigt. Politisch missliebigen Bürgern wurden diese Dokumente seitens der Behörden der SBZ verweigert, sodass sie die Grenze nur illegal übertreten konnten. Dies war nicht gefahrlos: Sowohl das illegale Überschreiten der Grenze als auch die Beihilfe dazu wurden von der Sowjetischen Militäradministration geahndet. Die Grenzgänger wurden kriminalisiert und intern als „faschistische Terroristen“, „angloamerikanische Spione“ oder „Heimkehrunwillige“ bezeichnet.1 Die sowjetischen Militärtribunale verurteilten verhaftete Grenzgänger zu zum Teil langjährigen Haftstrafen.

Aus Mangel an Wohnraum im besetzten Deutschland existierten in den Nachkriegsjahren Tausende von Flüchtlingslagern. Diese Lager erfüllten unterschiedliche Funktionen: Nahe der Grenzen zur Sowjetzone gab es Auffanglager, von denen aus Flüchtlinge in Durchgangslager oder Wohnlager transportiert wurden. Erst Anfang der 70er Jahre wurden die letzten dieser Wohnlager vollständig geräumt. Der Anteil der Flüchtlinge und Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung der britischen Zone lag Ende 1947 bei 14,5 Prozent – gegenüber 17,7 Prozent in der US-amerikanischen und 24,3 Prozent in der sowjetischen Zone.2 Bereits mit der Zonenexekutivanweisung Nr. 10 vom November 1945 (siehe M8) hatte die britische Militärregierung die Betreuung und Versorgung der Flüchtlinge in die Hände der deutschen Verwaltung gelegt.

Der halbstündige Film Asylrecht gehört zu den wenigen Filmdokumenten, die die Flüchtlingsproblematik der frühen Nachkriegszeit behandeln und die damaligen Lebensbedingungen in den Auffanglagern für die Nachwelt festgehalten haben. Bei dem Film handelt es sich um eine Auftragsproduktion für die britische Militärregierung. Asylrecht wurde im Herbst und Winter 1948 innerhalb der britischen Zone sowie im Grenzgebiet zur sowjetischen Zone von einem deutschen Filmstab hergestellt und im Frühjahr 1949 erstmals aufgeführt. Die historische Bedeutung des Films wurde bald erkannt: So erhielt Asylrecht auf den Internationalen Filmfestspielen Oberhausen 1959 einen ersten Preis und wurde als einer der wichtigsten Dokumentarfilme des vergangenen Jahrzehnts gewürdigt. Bis heute beeindruckt der Film durch seine sachliche und unpathetische, doch zugleich empathische Schilderung menschlichen Leids: „Die Bilder machen Not und Elend der Flüchtlinge sehr intensiv, aber keineswegs reißerisch deutlich.“3

  1. Andreas Hilger, Mike Schmeitzner, Ute Schmidt (Hg.): Sowjetische Militärtribunale. Band 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955. Köln: Böhlau 2003, S. 227 f.
  2. Jochen Oltmer: Kriegsfolgewanderungen – Deutsche und europäische Migrationsverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Henrik Bispinck, Katharina Hochmuth (Hg.): Flüchtlingslager im Nachkriegsdeutschland. Berlin: Christoph Links 2014, S. 36.
  3. Peter Stettner: Flüchtlingsbilder im Dokumentarfilm. Geschichte und Geschichten 1948–1960. In: Irmgard Wilharm (Hg.): Geschichte in Bildern. Von der Miniatur bis zum Film als historische Quelle. Pfaffenweiler: Centaurus 1995, S. 133.

Vorspann

Auf den historischen Hintergrund nimmt der Film in einem dem Vorspann folgenden Lauftitel Bezug, der in englischer Sprache verfasst ist.

E 4 Lauftitel ( Der Text kann auch in → M5: Sprechertext Asylrecht nachgelesen werden.)

Aufgaben

  1. Geben Sie wieder, was dem Lauftitel zufolge, der Zweck des Films sein soll. Welche mit der Flüchtlingssituation zusammenhängenden Nachkriegsprobleme werden von der Darstellung von vornherein ausgeklammert?
Sek II
  1. Analysieren Sie, inwiefern das Flüchtlingsproblem in einen Zusammenhang mit der Kriegsschuldfrage gestellt wird. Nennen Sie dabei auch Beispiele für die „mass movements of populations without regard of human considerations“, die den Deutschen zur Last gelegt werden.
  2. Interpretieren Sie den letzten Satz im Kontext des sich zum damaligen Zeitpunkt abzeichnenden Ost- West-Konflikts.