Der Großteil der Aufnahmen des Films entstand im Durchgangslager Uelzen (Sequenz 11), das im September 1945 auf Anweisung der Briten errichtet worden war. Als Standort erschien Uelzen geeignet, weil sich dort ein Verkehrsknotenpunkt befand, der die Weiterleitung und Verteilung der Flüchtlinge gewährleistete. Die Zahlen der Ende 1945 aufgenommenen Menschen schwanken zwischen 5.000 und 8.0004, die in wenigen Holzbaracken und Hunderten von Zelten untergebracht werden mussten. Obwohl die Unterkünfte laufend erweitert und baulich verstärkt wurden, überstieg der Flüchtlingsstrom rasch die Kapazitäten des Lagers. Durch Überbelegung und Engpässe in der Lebensmittelversorgung spitzte sich die humanitäre Lage derart zu, dass das Lager im Juli 1949 vorübergehend geschlossen werden musste: Mit dieser Maßnahme wollte die niedersächsische Regierung politischen Druck auf die Regierungen der anderen Länder ausüben, die sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sperrten, sodass Niedersachsen die Hauptlast des Problems tragen musste. Eine Einigung über die Aufnahmekriterien und die Verteilung von Zuwanderern auf die Länder der britischen und amerikanischen Besatzungszone wurde noch im Juli 1949 erzielt (sogen. „Uelzener Entschließung“).
Im Jahr 1950 wurde das Bundesnotaufnahmegesetz verabschiedet, das die rechtlichen Bedingungen für die Übersiedlung von DDR-Bürgern und ihre Eingliederung in die bundesrepublikanische Gesellschaft regelte. Bis zu seiner Schließung im Jahr 1963 war Uelzen neben Gießen und Marienfelde das wichtigste Aufnahmelager für Flüchtlinge aus der DDR.
Um 2007 nahm die Geschichtswerkstatt Uelzen e. V. (http://geschichtswerkstatt-uelzen.de/) mit ehemaligen Bewohnern und Angestellten des Lagers Zeitzeugen-Interviews auf, aus denen die folgenden Ausschnitte entnommen wurden.
Georg Thönelt, Jahrgang 1910, stammte aus Zopten in Schlesien. Die Bevölkerung Zoptens wurde im Sommer 1946 vertrieben und mit der Eisenbahn nach Uelzen transportiert. Als katholischer Pfarrer betreute Thönelt zwischen 1946 und 1953 die Flüchtlinge im Lager, bevor diese Aufgabe von einem eigens angestellten Lagerpfarrer übernommen wurde 5. Georg Thönelt berichtet in den Interview-Ausschnitten vom Abtransport aus Schlesien und von der Ankunft im Lager Uelzen.
Georg Thönelt (Interview-Ausschnitte, Geschichtswerkstatt Uelzen e. V, 2007)
Christiane Meyne, Jahrgang 1924, flüchtete 1947 aus Grimma in den Westen, nachdem der sowjetische Geheimdienst GPU versucht hatte, sie als Informantin zu verpflichten. Sie kam bei Bekannten in Uelzen unter und arbeitete zwischen 1949 und 1952 u. a. in der Krankenabteilung und in der Küche des Flüchtlingslagers. Christiane Meyne schildert in den Interview-Ausschnitten die Gründe für ihre Flucht aus der SBZ und geht kurz auf ihre Tätigkeit im Flüchtlingslager ein.
Christiane Meyne (Interview-Ausschnitte, Geschichtswerkstatt Uelzen e. V., 2007)
Lothar Berlich, Jahrgang 1938, flüchtete als Elfjähriger gemeinsam mit seiner Mutter und drei Brüdern über die Grenze. In Uelzen angekommen, wurde der Familie die Aufnahme verweigert. Daraufhin hausten sie in einem provisorischen Waldlager, bis ihr Antrag auf Aufnahme schließlich bewilligt wurde. Lothar Berlich schildert in den Interview-Ausschnitten den illegalen Grenzübertritt im Jahr 1949, die Lebensumstände in dem Waldlager, wo die Familie Zuflucht fand, und schließlich die Aufnahme in Uelzen mit anschließendem Weitertransport.
Lothar Berlich (Interview-Ausschnitte, Geschichtswerkstatt Uelzen e. V., 2007)
Wie jede andere Quelle müssen auch Zeitzeugen-Berichte kritisch geprüft und ggf. hinterfragt werden. Solche Berichte von Betroffenen entsprechen Wahrnehmungen aus einer bestimmten Perspektive, die im Laufe der Zeit – hier ca. 60 Jahre – durch weitere Ereignisse und Berichte überformt worden sind. Trotz der sich daraus ergebenden möglichen Verzerrungen der historischen Realität können Zeitzeugen-Berichte wertvolle Ergänzungen zu anderen Quellen sein. Sie vermitteln die Dimension der persönlichen und subjektiven Anschauung des „Dabeigewesenen“ und können die Zuhörer bzw. Zuschauer emotional stärker involvieren als eine Außen-Perspektive, wie sie Kipps Film aufweist.