Dokumentarfilme versuchen, bestimmte Gegebenheiten oder Aspekte der Wirklichkeit (aktuelle oder vergangene) möglichst authentisch abzubilden. Dokumentarfilme verfolgen in der Regel den Anspruch nach Wahrhaftigkeit und entstehen häufig aus einem sozialkritischen Antrieb heraus. Sie setzen sich zu einem Großteil aus Material zusammen, das die Filmemacher aus der Wirklichkeit zusammentragen. Die Inhalte und Personen, die ein Dokumentarfilm zeigt, sind im Gegensatz zu einem Spielfilm somit nicht ausgedacht (fiktional), sondern echt (nicht-fiktional). Deshalb spricht man bei Dokumentarfilmen auch von nicht-fiktionalen Filmen.
Zur Filmform des Dokumentarfilms zählen unter anderem Sachfilme, Reisedokumentationen, Geschichtsdokumentationen, ethnografische Filme, Dokumentationen über Einzelpersonen sowie über das Welt- und Tagesgeschehen.
Obwohl Dokumentarfilme oft leichtfertig zugeschrieben wird, die Wirklichkeit möglichst objektiv abzubilden, zeigt ein Dokumentarfilm die Wirklichkeit nie genauso, wie sie ist. Stattdessen gibt er nur einen bewusst ausgewählten Ausschnitt aus ihr wider und das auch nur aus einer ganz bestimmten Perspektive, der Perspektive der Filmemacher. Ein Dokumentarfilm ist wie jedes kreative Produkt deshalb immer nur scheinbar authentisch und objektiv. Es lohnt sich daher genauer zu schauen, auf welchen Wegen und aus welcher Perspektive die Filmemacher versuchen, sich in ihrem Film der Wirklichkeit anzunähern und welche filmsprachlichen Mittel sie für ihre Inszenierung nutzen.
Der amerikanische Filmkritiker und Filmtheoretiker Bill Nichols unterscheidet sechs Modi des
Dokumentarfilms, die ebenso als Subgenres verstanden werden können: den poetischen, den erklärenden, den
beobachtenden, den partizipativen, den reflexiven und den performativen Modus.
(siehe z. B. Nichols, B. (2001): „Introduction to Documentary“, Indiana
University Press).
Poetischer Modus (poetic mode):Anstelle einer objektiven Annäherung oder einer sachlichen Präsentation wird das zur Verfügung stehende Material nach bestimmten ästhetischen und formalen Gesichtspunkten neu geordnet: nach akustischen und visuellen Rhythmen, nach übereinstimmender Thematik, Motivik oder Atmosphäre. Es entsteht ein Film von hoher ästhetischer Qualität, der keine erklärenden Logik folgt, sondern der dem Zuschauer einen Assoziationsraum bietet, die „innere Wahrheit“ des Gezeigten selbstständig zu erfassen. |
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Erklärender Modus (expository mode):Die Dokumentation, wie man sie am ehesten kennt. Eine große Rolle spielt in diesem Modus eine Erzählstimme aus dem Off (Voice of God), die das Gezeigte kommentiert und erklärt. Der Zuschauer wird direkt adressiert, das Gesagte ist so aufbereitet, dass es Objektivität und Seriosität vermittelt. Gegenüber der Erzählerstimme, dienen die Bilder zur Illustration und als Belege für das Gesagte. Dieser Modus findet sich oft im Kontext von Nachrichten und Reportagen. |
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Beobachtender Modus (observational mode):Der Filmemacher bleibt unsichtbar hinter der Kamera, mit dem Ziel das Gesehene völlig neutral zu beobachten. Auf einen Eingriff oder gar Manipulation des Geschehens wird gänzlich zu verzichtet. Die Anwesenheit der Kamera soll möglichst keinen Einfluss auf das Verhalten der Akteure nehmen. Dieser Modus wird dem so genannten Direct Cinema zugeordnet, einer Filmbewegung, die in den 1950er und 1960er Jahre entstand und sich der möglichst objektiven Widergabe von Ereignissen verpflichtet sieht. |
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Interaktiver Modus (participatory mode):Die Filmemacher treten direkt mit den Protagonisten in Kontakt, interagieren mit ihnen und stellen Fragen. Sie provozieren dadurch bestimmte Aussagen der Protagonisten und ergänzen das Gezeigte ggf. mit verbalen Kommentaren aus dem Off. Durch die offensichtliche Teilhabe am Geschehen, wird die Künstlichkeit der Situation sichtbar gemacht und „entobjektiviert“. Dieser Modus wird dem Cinéma Vérité zugeordnet, einer Filmbewegung aus den 1950er und 1960er Jahre, bei der sich die Filmemacher bewusst und eher offensiv am Geschehen beteiligen. |
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Reflexiver Modus (reflexive mode):Dieser Modus deckt die Künstlichkeit und Konstruiertheit des Dokumentarfilms bewusst auf, zum Beispiel indem er die Filmemacher während der Vorbereitung des Drehs oder bei der Arbeit zeigt, explizite Medienkritik übt oder sich kritisch mit sich selbst oder anderen Modi des Dokumentarfilms auseinandersetzt. Ab und an werden in diesem Modus auch fiktive Elemente verwendet. Der reflexive Modus kommt insgesamt nur relativ selten vor. |
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Performativer Modus (performative mode):Der Filmemacher selbst ist Gegenstand des Films, indem er sich persönlichen Erfahrungen aussetzt und seine Gedanken und Gefühle mit dem Publikum teilt. Er bietet sich damit selbst als Identifikationsfigur an. Ziel ist häufig, das Publikum zu einem bestimmten Thema wachzurütteln. Der performative Modus ist daher zwar informativ, in jedem Fall aber stark subjektiv geprägt. |
Laut Nichols muss eine Dokumentation nicht ausschließlich einem einzigen Modus entsprechen. Dokumentationen sind häufig Mischformen aus mehreren Modi. Meist gibt es dann einen dominanten Modus, der gegenüber den anderen Modi stärker zutage tritt.