„Die Menschen sind alle lieb und gut, das weiß ich“ – Catos Haft und Hinrichtung: Ihr eigentlicher Widerstand?

Am 20. September 1942 wurde Cato Bontjes van Beek gemeinsam mit ihrem Vater in ihrer Wohnung am Kaiserdamm verhaftet. Während ihr Vater in die Gestapo Zentrale an der damaligen Prinz-Albrecht-Straße gebracht wurde, wurde Cato im Polizeigefängnis am Alexanderplatz inhaftiert. Bis zu ihrer Hinrichtung am 5. August 1943 kam Cato nicht wieder in Freiheit und doch ist die Zeit ab ebenjenem Septembertag das vielleicht wichtigste Kapitel in Catos Widerstand gegen das NS-Regime.

Trotz der repressiven Haftbedingungen bewahrte sie sich ihre Menschlichkeit, ihre Hoffnung und vor allem ihre Persönlichkeit mit all der ihr eigenen Offenheit und ihrer Hilfsbereitschaft. Für viele Mitgefangene war sie damit ein unverhoffter Lichtblick. Auch ihre Familie und ihr soziales Umfeld stärkte Cato im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst aus der Haft. Umgekehrt verliehen ihre zahlreichen Beziehungen über das Gefängnis hinaus ihr immer wieder Halt und bildeten ihr emotionales Fundament. Sie entwickelte die Fähigkeit, aus vermeintlichen Kleinigkeiten wie einer in ihre Zelle geschmuggelten Blume ein beinahe unbegreifliches Maß an Glück zu schöpfen.

Besonders wertvoll war ihre Gegenwart im Polizeigefängnis Alexanderplatz wohl für den jungen Rainer Küchenmeister, der ebenfalls der Verhaftungswelle im Umfeld der sogenannten Roten Kapelle zum Opfer gefallen war. Die beiden entwickelten über Briefe und Gespräche durch die Zellenfenster eine tiefe Freundschaft. Küchenmeister befand sich zu einigen Zeitpunkten seiner Haft in derart tiefer Verzweiflung, dass möglicherweise nur Catos Lebensmut ihn davor bewahrte, sich in eine selbstzerstörerische Märtyrerhaltung zu begeben. Küchenmeister bezeichnete diese „weibliche“ Haltung im Unterschied zu einer trotzigen „männlichen“ später als „lebenserhaltend“ (vgl. Hintergrundwissen: Rainer Küchenmeister).

Ihr absoluter Lebenswille kennzeichnet Catos Haltung zu ihrer Haft, selbst nach ihrer Verurteilung und kurz vor ihrer Ermordung. In der Anfangsphase ihrer Gefangenschaft ging sie stets davon aus, irgendwann, und sei es nach einer mehrjährigen Haftstrafe, wieder in die Freiheit zu kommen. Nach der Verurteilung erhielt sie von zahlreichen Seiten Unterstützung. Ihre ehemaligen Kameradinnen aus dem Fliegerkorps baten ebenso um Gnade für sie wie Politiker und Funktionäre. Schließlich hatte sogar Herrmann Göring einer Begnadigung Catos zugestimmt. Nun war es an Adolf Hitler, über einen Gnadenerweis zu entscheiden. Er befahl die Hinrichtung.

Cato Bontjes van Beek wurde am 05.08.1943 in der Haftanstalt Plötzensee mit dem Fallbeil ermordet. An diesem Tag starben in Plötzensee sechzehn Menschen im Dreiminutentakt, Cato war die Vorletzte.

Abb.1: Polizeigefängnis am Alexanderplatz (Teil des Polizeipräsidiums)

Abb.2:Der ehemalige Hinrichtungsraum im Strafgefängnis gehört zur heutigen Gedenkstätte Plötzensee anlässlich der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus aus dem In- und Ausland. Zwischen 1933 und 1945 wurden hier fast 3000 Menschen nach Unrechtsurteilen der NS-Justiz hingerichtet. (MisterBee1966 at the English language Wikipedia, Lizenz: CC BY-SA 3.0)

M1

M1: Auszüge aus Catos erstem Brief aus der Haft und Tims Beschreibung des ersten Besuchs der Mutter 03.11.1942 (Cato: 00:50:37–00:51:57)

M2

Am 14. November 1942 erlebt Cato ihren 22. Geburtstag in Haft. Ihre Mitgefangene Greta Kuckhoff erinnert sich:

„Ihr Geburtstag wurde ein Fest. Die Kollegen draußen hatten ihr einen Kuchen gebacken. Die Mutter hatte es verstanden, mit den Gaben ein Briefchen durchzuschmuggeln. Was an Essen an jenem Tag in ihre Zelle wanderte – Du lieber Gott, sie musste sich von überall her leere Schüsseln und Becher erbitten, und der Berg der trockenen Stullen wuchs erstaunlich. Die mürrischen Wärterinnen konnten ihrer Fröhlichkeit einfach nicht widerstehen. Das eigentliche Fest begann am Abend, als die Büros im Quergebäude geschlossen waren und die zum Einschluss verpflichtete Beamtin mit ihrem Leuchtstab die gefürchtete Runde gemacht hatte. Da setzte erst ein Konzert ein, auf Kämmen und einer hineingeschmuggelten Mundharmonika. Dann sangen die polnischen Kameradinnen ihr ein etwas schwermütiges Lied, und schließlich pfiff es aus allen Gitterfenstern: Die Gedanken sind frei!

Eine lange Schnur von aneinandergeknüpften Strümpfen schob sich aus Catos Fenster, im untersten stand ein Becher mit Essen, er wurde geleert und die Schnur gezogen. Nein, nicht leer. Was fand sich nicht alles im armseligen Gepäck dieser Wanderer auf den armseligen Straßen zum Zuchthaus, auf der letzten Straße zum Tode: ein zierliches mit Hohlsäumen und vielen Stickereien versehenes Tuch, eine Zeitschrift, ein Blumenstrauß aus Seidenpapier, goldene Sterne, wie man sie in friedlichen Tagen zum Verschließen von Weihnachtspäckchen benutzte. Einmal kam der Strumpf zurück mit Zigaretten und Streichhölzern bestickt. Immer wieder tauchte der Becher hierhin und dorthin mit Suppe, mit Brot, tauchte schenkend in den Brunnen der Leidensfreundschaft, schöpfte tief aus der Liebe zwischen Menschen, die sich nicht kannten, nur ihr Schicksal. Was er nach oben brachte, wanderte weiter: hierhin eine angezündete Zigarette am losgelösten Fensterstab befestigt, damit man sie in der dritten Zelle rechts in Empfang nehmen konnte, dorthin eine Scheibe Kuchen, ein Praliné mit einer der Blumen.“

(Nach Kluge, S.87-88)

M3

Nach ihrer Verurteilung am 18.01.43 schreibt Cato Bontjes van Beek einen Kassiber an ihren Mitgefangenen Rainer Küchenmeister

„Mein lieber Rainer. Ja, das war ein Schlag ins Gesicht, dieser Antrag vom Oberst. Aber Rainer, ich bin so sehr vom Leben überzeugt und liebe die Menschen so unendlich, dass ich gar nicht daran glaube, dass es wahr wird. Von dieser Liebe zu den Menschen habe ich in meinem Schlusswort gesprochen. Es war mir auch nie zuvor so klar, wie sehr ich Deutschland liebe. Ich bin ja gar keine Kommunistin.

Rainer, als ich wusste, jetzt kannst du noch etwas sagen,um dein Leben zu retten, da gab es keine Politik mehr für mich. Sondern einzig und allein stand vor mir das Bild, dass es nur eines gibt. Und das ist die Liebe der Menschen untereinander. Ich bin kein politischer Mensch, ich will nur eins sein, und das ist ein Mensch. Nennt man dies nun dem Tod ins Auge sehen? Es verpflichtet zu so vielem. Ich habe nicht um mein Leben gebettelt, Rainer, da hat der Mensch gezeigt, was er ist. Nicht bei der Beweisaufnahme, sondern beim Schlusswort. Ich werde das nie vergessen. Sollte ich am Leben bleiben? Jedes andere Urteil ist mir egal. Nur leben will ich, leben, leben. Das ist mein Wunsch. Um meinen Freund Strelow habe ich große Angst. Ich habe ihm gesagt, dass er deinem Vater bestellt, was für einen prächtigen Sohn er in dir hat. Ich habe in der Nacht vom 13. zum 14. von dir geträumt und Strelow so viel erzählt von dir, und wie gern ich dich habe.

Einen Kuss, Deine Cato“

(Nach Roloff , S.243)

Abb.3: Porträt von Cato (1941); © Archiv S. Bontjes van Beek

M4

Nach der Urteilsverkündung schreibt Rainer einen emotionalen Kassiber an Cato und teilt ihr mündlich seine Erwägungen mit, aus lauter Verzweiflung ein falsches Geständnis bei der Gestapo abzulegen. Darauf sendet ihm Cato am 19.01.1943 eine liebevolle Antwort:

„Mein lieber Rainer. Was bist Du doch für ein famoser, lieber Junge. Dein Brief hat mich so glücklich gemacht. Ich möchte ihn immer bei mir tragen und den Abschiedsbrief von Heinz Strelow auch. Sollte ich wirklich sterben, Rainer, sei nicht allzu traurig. Vergiss mich nicht. Eine Bitte habe ich an Dich: Sei vernünftig und beginn nichts Falsches. Ich meine damit, Du sollst kein Märtyrer sein, es hat keinen Sinn. Du wirst so nötig gebraucht. Du hast so viele gute Eigenschaften, und es ist auch solch ein Reichtum an Liebe in Dir. Das ist das Höchste und Schönste, was der Mensch besitzt. Ich denke sehr viel an Otto Gollnow, dessen Urteil nicht so ausfiel, wie der Oberst beantragte.1 Er ist auch so voll von Liebe. Er sagte mir zum Abschied, dass er von Heinz und mir die Gewissheit mitnimmt ins Leben, der Mensch ist gut. Wir beide würden immer bei ihm sein. So möchte ich auch immer bei Dir sein. Denn ich liebe Dich so, als seiest Du mein Bruder.

Vielleicht wirst Du meinen Bruder Tim auch mal sehen. Geh‘ zu meiner Mutter, das musst Du mir versprechen, mein lieber Rainer. Ich liebe das Leben und die Menschen unendlich. Und darum gehe ich ohne einen Groll aus dem Leben, oder gar Hass. Vielleicht sterben Heinz und ich fast zur gleichen Stunde, das wäre schön. Denn wir beide gehören zusammen, und darum waren diese 3 Tage so wunderbar. Und ich glaube immer noch an ein Wunder, das mich dem Leben wiederschenkt. Denke an Deinen Vater, lieber Rainer, und begebe dich nicht unnütz in Gefahr. Ich weiß nicht, warum ich sterben muss, aber sicher hat alles einen Sinn. Du glaubst, ich mag weinende Männer nicht. Ach Rainer, das macht gar nichts. Auch Heinz hat geweint. Nur zuletzt haben wir uns immer angelacht, weil wir zusammen so glücklich waren. Lebe Du weiter, lieber Rainer, such das Schöne in der Kunst, und in jedem Menschen und lerne, mit dem Herzen zu denken.
Der alte Gott schütze Dich, einen lieben Gruß von Deiner Cato“

Nach Roloff S. 244-245

1 Sechs Jahre Zuchthaus anstatt der beantragten Todesstrafe, Gollnow verstarb 1944 in Haft

M5

Am 15. Februar 1943 schreibt Cato an ihre Mutter:

„Jetzt sind es genau vier Wochen seit meinem Urteil. Ich stehe jetzt zwischen Leben und Tod. Die Vorstellung des Todes hat für mich absolut nichts Grausiges, denn ich bin so überzeugt davon, dass es einen Tod im üblichen Sinne gar nicht gibt. Das, was in mir ist, kann und wird nicht sterben. Aber meine Liebe zu den Menschen ist noch viel größer geworden. Ich hätte in der Nacht nach dem Urteil Bände über die Liebe schreiben mögen, ich war so übervoll davon.

Wenn ich im Bett liege, dann stelle ich mir vor, wir seien alle zusammen in dem lieben Fischerhude, in Gedanken gehe ich durch alle Zimmer und seh´ jede Kleinigkeit vor mir. (…)

Wenn wir zum Kriegsgericht fahren, dann kommen wir immer an unserem Haus vorbei, und an Papas Geburtstag fuhr das Auto da gerade etwas langsamer, und da habe ich Vasen von unserem Laden nebenan sehen können. Ich war froh darüber wie ein kleines Kind.“

M6

M6: Tim und Mietje schildern Tims letzten Besuch (Cato: 01:20:40–01:22:40)

M7

Am Tag ihrer Hinrichtung schreibt Cato drei Abschiedsbriefe. Der längste von ihnen ist an ihre Mutter gerichtet (05.08.1943).

M7: Abschiedsbrief an die Mutter (05.08.1943)

Abb 5: Fischerhude an der Wümme (Olga Bontjes van Beek, 05.08.1943, 22x27 cm, Privatbesitz) – Dieses Bild malte Olga Bontjes van Beek am Tag der Hinrichtung ihrer Tochter, ohne zu diesem Zeitpunkt von dem Ereignis zu wissen

„Meine liebe, liebe Mama. Ich habe geglaubt, ich könnte Dir diesen Brief als Geburtstagsbrief schreiben, und nun wird es der allerletzte an Dich sein. Meine Mama, es ist nun so weit, und ich werde nur noch ein paar Stunden unter den lebenden sein. Mama, daß ich es Dir nicht selbst sagen kann und daß Du nicht bei mir bist, das ist hart. Aber ich bin sehr gefaßt und habe mich mit dem Schicksal ausgesöhnt. Die Ruhe, die ich mir immer für diese letzten Stunden gewünscht habe, ist nun auch wirklich bei mir, und sie gibt mir viel Kraft, mit meinen Gedanken bei Dir zu weilen, bei Tim in Russland und bei Meme und allen anderen Lieben.

Ich sagte Dir schon bei den letzten Sprechstunden, daß ich es als eine Gnade empfinde, jede Nacht in meinen Träumen bei Euch in Fischerhude zu sein. Könnte ich doch meine Ruhe auch auf Dich übertragen. Mein Herz ist so übervoll, um Dir zu danken. Und die Liebe zu Euch allen werde ich dalassen.

Meine geliebte Mama, ich hoffe so sehr, daß Du diesen Schmerz, den ich Dir durch meinen Tod bereite, überwinden wirst und dadurch in Deiner Kunst noch größer wirst. Ich hätte Dir noch so viel zu sagen, und nun geht es mir so wie schon oft, daß ich bereits alles gesagt weiß. Wir sind uns ja so nahe, und was ich denke, weißt und spürst Du. Schade, daß ich nichts auf der Welt lasse, als nur die Erinnerung an mich. Es ist alles viel einfacher, als man denkt. Und ich weiß, daß ich Dir die Kraft zu verdanken habe, und ich bin Dir ja so dankbar. Ich möchte Dir alles tausendfach zurückgeben. Behalte meine Liebe, meine liebe, gute Mama. Male schöne Bilder und habe noch viel Freude an Meme und Tim. Neulich habe ich in der Kirche ein kleines Bachstück auf der Orgel gehört. Und Du weißt, was das für mich bedeutete. Du wirst an Meme und Tim noch große Freude haben.

Grüße alle lieben Menschen. Papa und Rali. Und ich glaube, daß Papa auch noch viele schöne Keramiken den Menschen schenken wird und sie sich daran erfreuen werden. Die Menschen sind alle lieb und gut, das weiß ich, und daran denke ich.

Ich lege einen Brief an Tim diesem Brief bei. Und du wirst dafür sorgen, daß er ihn bekommt. Und auch an Meme in Fischerhude habe ich geschrieben.

Ich brauche Dir ja eigentlich gar nicht so viel zu schreiben. Denn ich spüre Dich so lebhaft. Und all das, was ungesagt ist, weißt Du immer. Grüße alle in der Bismarckstraße und auch Lolo und Ulrich und Christian.

Lebe wohl, male wieder viel. Und ich umarme dich ganz fest in meinen Gedanken.

Immer bin ich bei Dir, meine liebste Mama. Dodo“

(Nach Vinke, S. 166-168)

M8

M8: Rainer über seine Bekanntschaft mit Cato während der Haft (Cato: 00:56:07–00:57:40)

I. Aufgaben

  1. Charakterisieren Sie auf Grundlage der Materialien die Haltung Cato Bontjes van Beeks gegenüber Haft und Urteil.
  2. Betrachten Sie die Beziehung zwischen Cato Bontjes van Beek und Rainer Küchenmeister genauer und arbeiten Sie dabei heraus, inwiefern sie sich in der Haft gegenseitig unterstützt haben. (M3, M4, M8)
  3. Bewerten Sie Catos Vorstellung zum Tod. Berücksichtigen Sie auch die Wirkung ihrer Haltung auf ihre Umgebung.

M9

In einer Besprechung der Cato Bontjes van Beek - Biografie von Hermann Vinke schreibt die Journalistin Ingeborg Harms am 05.08.2003 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

Vielleicht hat nichts Hitlers finstere Seele so restlos blamiert wie das kurze Leben der Cato Bontjes van Beek. Er konnte sich hinter keinem Kollektivwillen verstecken, als er vor dem vielstimmigen Gnadengesuch saß, dem bereits der Präsident des Reichskriegsgerichts und selbst Göring zugestimmt hatten. (...) Über sich hinaus wuchs sie, (...) als sie ihr überschäumendes, gewinnendes Wesen in der Gestapohaft aufrechterhält. Zahlreiche Zeugnisse bestätigen, welche Bedeutung ihr Singen, ihre seelenruhigen Gymnastikübungen und ihr Optimismus selbst nach der Verkündung des Todesurteils für geschundene Mithäftlinge hatten. Wärterinnen konnten ihrer Herzlichkeit nicht widerstehen und sahen über den Schmuggel von in der Wäsche versteckten Briefen und gelegentlichen Blumen hinweg. […] Tief in die intimste Sphäre der nur zweiundzwanzig Jahre alt Gewordenen führt auch die Diskrepanz zwischen ihren tapferen Lebenszeichen, in denen sie vom Sternenhimmel über dem Zellenfenster, von Lektüreeindrücken und ihren Gedanken erzählt, die sich in der Freiheit aufhalten, und dem Zusammenbruch, der sich erst einstellt, als sie beim letzten Besuch ihres Bruders in seinen Augen den eigenen Zustand gespiegelt sieht.(...) In ihren Abschiedsbriefen, die sie am Tag der Exekution schon in Plötzensee schreibt, hat sie sich wieder völlig in der Gewalt. Sie macht ihren Nächsten das, was ihnen ohnehin am nächsten liegt, zur Pflicht: Tim die musikalische Laufbahn, Mietje und der Mutter das Malen. So und indem sie von ihrer Gewißheit spricht, in ihnen weiterzuleben, bewahrt sie die Zurückbleibenden vor selbstzerstörerischen Reaktionen. (...) „Die Menschen sind alle lieb und gut, das weiß ich“, schrieb sie in der Todesstunde ihrer Mutter – und vernichtete damit ihren Henker.

Quelle: http://www.faz.net (zuletzt eingesehen am 25.09.2016)

II. Aufgaben

  1. Erörtern Sie die dem Kapitel vorangestellte Problemfrage: Liegt Catos eigentlicher Widerstand in ihrem Verhalten und ihrer Einstellung während der Haft? Beziehen Sie auch Material 9 in Ihre Überlegungen ein.

M10

Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer sitzt wegen seiner Aktivitäten im Widerstand bereits seit April 1943 in Haft. Kurz vor Weihnachten 1944 hat er die Möglichkeit, einen Brief an seine Verlobte Maria von Wedemayer zu schreiben. (Zur Biografie Dietrich Bonhoeffers vgl. Materialteil: Hintergrundwissen)

19.12.44

„Meine liebste Maria!

Ich bin so froh, daß ich Dir zu Weihnachten schreiben kann, und durch Dich auch die Eltern und Geschwister grüßen und euch danken kann. Es werden sehr stille Tage in unsern Häusern sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit Euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. (…) Längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat. (…) Du darfst also nicht denken, ich sei unglücklich. Was heißt denn glücklich und unglücklich? Es hängt ja so wenig von den Umständen ab, sondern eigentlich nur von dem, was im Menschen vorgeht. Ich bin jeden Tag froh, daß ich Dich, Euch habe, und das macht mich glücklich froh. (…)

Einige Bitten: ich würde gern von Wilhelm Raabe: „Abu Telfan“ oder „Schüdderrump lesen.(...)

Daß ihr alles für mich denkt und tut, was Ihr könnt, dafür danke ich Euch; das zu wissen ist für mich das Wichtigste.

Es sind nun fast zwei Jahre, die wir aufeinander warten, liebste Maria. Werde nicht mutlos! Ich bin froh, daß Du bei den Eltern bist. Grüße Deine Mutter und das ganze Haus sehr von mir. Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Sie sind der Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister.


Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

Laß warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Sei mit Eltern und Geschwistern in großer Liebe und Dankbarkeit gegrüßt.

Es umarmt Dich Dein Dietrich“

(Nach Steinbach/Tuchel S.144-145)

Abb. 6: Dietrich Bonhoeffer (Bundesarchiv: 146-1987-074- 16, Lizenz: CC-BY-SA 3.0)

M11

M11: Eintrag in das Fischerhuder Totenbuch zu Cato: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus“. (1. Joh 4.)

III. Aufgaben

  1. Vergleichen Sie die Haltung Cato Bontjes van Beeks zu ihrer Haft und zum Tod mit der Dietrich Bonhoeffers, wie sie in dem Brief an seine Verlobte deutlich wird (M 10).
  2. Interpretieren Sie diese Bibelstelle auf der Folie von Catos Einstellung zum Leben und zu den Menschen (M 11).
  3. Entwickeln Sie Ideen für eine Gedenkveranstaltung für Cato, welche auch die Umstände ihres Todes berücksichtigt.