Cato Bontjes van Beek ist zehn Jahre alt, als sie zum ersten Mal für längere Zeit von zu Hause fortzieht. Von 1931 bis 1933 wohnt Cato bei ihrer Tante und ihrem Onkel in den Niederlanden und besucht die deutsche Schule in Amsterdam. Laut ihrer Schwester Mietje war es Catos ständiger Wunsch, die Welt zu erkunden, und ein wenig Abenteuerlust hat sie auch bewegt, diesen Schritt zu gehen. Obwohl der Aufenthalt in den Niederlanden nicht nur einfach ist, da es immer wieder zu Spannungen mit ihrer Tante kommt, weckt auch diese Zeit Catos Reiselust immer von Neuem. In einem Brief an ihren Vater zwei Jahre später schildert sie ihren Wunsch, einmal so ferne Ziele wie Tahiti, Mexiko oder Tibet zu bereisen. 1933 trennen sich schließlich Catos Eltern, die Ehe wird geschieden, aber Jan und Olga bleiben in Freundschaft miteinander verbunden. Die Lebenswege sind zu unterschiedlich, Jan lebt mittlerweile ganz in Berlin und heiratet noch im selben Jahr die Innenarchitektin Rahel Maria Weisbach, die für den Lebensunterhalt der Familie, zu der schließlich vier Kinder gehören, sorgt. Jan bezieht eine eigene Werkstatt in Berlin und wird einer der wegweisenden Keramiker Deutschlands mit größeren Auftragsarbeiten im In- und Ausland. 1935 erhält Rahel als „Nicht-Arierin“ aufgrund der „Nürnberger Gesetze“ Berufsverbot, sie kümmert sich in der Folgezeit um das Management der Werkstatt, um Ausstellungen und den Verkauf der immer begehrter werdenden Keramik ihres Mannes. Cato und ihre Geschwister haben weiterhin einen engen Kontakt zu ihrem Vater und seiner neuen Familie; sie schätzen Rahel sehr.
Obwohl auch in Fischerhude eine HJ- und eine BDM-Gruppe gegründet werden, widersetzen sich Cato und ihre Geschwister der Hitler Jugend. Cato lässt sich im Sommer 1934 protestantisch taufen – vom Dorfpfarrer Tidow, der zugleich Catos Gesprächspartner in intensiven Diskussionen über Literatur sowie philosophische und religiöse Fragestellungen ist. 1935 wird sie dann konfirmiert und schließt in diesem Sommer auch die Schule ab.
Im Januar 1937 fährt sie, inzwischen 16 Jahre alt, als Au-pair-Mädchen nach England, wo sie auf Vermittlung von Amelie Breling bis zum Sommer in einer Gastfamilie wohnt. Sie lebt sich schnell ein und trifft ihre erste große Liebe, den Studenten der Agrarwissenschaften John Hall. Beide verbindet ein geistiger Kosmos, sie interessieren sich für den Buddhismus und setzen sich mit religionsphilosophischen Fragen auseinander. Anfang August 1937 kehrt Cato nach Deutschland zurück, und als John Hall Cato einige Monate später in Fischerhude besucht, verkünden die beiden ihre Verlobung.
Cato zieht im September nach Berlin und beginnt eine kaufmännische Ausbildung, ohne allerdings ihre eigentlichen Zukunftspläne aufzugeben. Die Ausbildung soll dazu dienen, dass sie später in der „Fischerhuder Kunstkeramik“ arbeiten kann. In ihrer Freizeit geht sie ihrer Leidenschaft, dem Segelfliegen, nach und wird später auch Mitglied in der Berliner NS-Frauensegelfluggruppe und im NS-Fliegerkorps, um diesen Sport überhaupt ausüben zu können.
Abb.1: Cato beim Reichsarbeitsdienst in Blaustein Ostpreußen (1940), © Archiv S. Bontjes van Beek
Mietje Bontjes van Beek über Cato:
„Sie blieb ein großes Kind. Wenn ich sage kindlich, dann meine ich das positiv. Cato hat diese Kindlichkeit und Spontaneität bewahrt – trotz der Erfahrungen in der großen Stadt und in der Schule dort. (…) Cato blieb einfach sie selbst. Diese Kindlichkeit hat sie bewahrt, selbst als sie erwachsen wurde. (…) Cato besaß eine immense Fantasie und Darstellungsgabe. Ich denke, das hat mit Jan zu tun, unserem holländischen Vater. Das ist für mich holländisch, dieser Humor, diese Wortspiele, diese Leichtigkeit, die Cato nie abgelegt hat. Diese Fähigkeit, die Menschen zu beobachten und sie für sich einzunehmen.“
(nach Vinke, Porträt, S. 36)
Helmut Schmidt1 über Cato:
„Dazu kam der doppelte Glücksfall eines längeren Aufenthaltes von Cato in England und der Freundschaft mit dem fünf Jahre älteren Engländer John Hall. Cato war deshalb nie in Gefahr, von der Nazi-Ideologie beeinflusst zu werden. Schon vor der Nazi-Zeit hatten zwei Schuljahre in Amsterdam dazu beigetragen, dass sie später keinem nationalistischen Wahn verfallen ist. In ihren letzten Jahren arbeitete sie, zusammen mit Mietje, in Berlin in der keramischen Werkstatt ihres Vaters Jan Bontjes van Beek (er war schon seit Jahren von ihrer Mutter geschieden). Dort fand sie sich fast selbstverständlich in einem Kreise von Freunden und Bekannten wieder, die alle Hitlers Herrschaft ablehnten.“
www.zeit.de (zuletzt eingesehen 16.02.16)
1 Helmut Schmidt (geb. 23.12.1918) war von 1974 bis 1982 Regierungschef einer SPD-geführten Koalition mit der FDP. Schmidt war der fünfte Bundeskanzler der BRD.
Catos Beziehung zur Literatur, Religion und Philosophie
„Die Heiden“: So bezeichnete die Fischerhuder Dorfbevölkerung Cato Bontjes van Beek und ihre Geschwister in deren Kindheit. Jan und Olga Bontjes van Beek hatten ihre Kinder nicht taufen lassen. Nach ihrem Tod wurde Cato zur kommunistischen Volksheldin der DDR stilisiert. Welche Beziehung zu Religion, zum Glauben im Allgemeinen hatte die scheinbar so glaubensferne junge Frau, die zugleich einen solchen Wunsch aussprach?
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass Cato in ihrer Kindheit sehr wohl eine gewisse religiöse Sozialisation erfuhr. Der junge Fischerhuder Dorfpfarrer Günter Tidow gab ihr privaten Religions- und Literaturunterricht. Cato genoss die Möglichkeit, mit ihm über Glaubensfragen, aber auch über jegliche philosophische Fragestellungen zu diskutieren. Tidow war zunächst zwar NSDAP-Parteimitglied, zu Kriegsbeginn distanzierte er sich dann aber vom Nationalsozialismus und trat der Bekenntniskirche bei. Olga Bontjes van Beek begleitete für gewöhnlich den Gottesdienst an der Orgel und Cato selbst berichtete, wie sie später Freude daran fand, auswendig Kirchenlieder zu singen. In vielen ihrer Briefe, aber auch in Briefen naher Verwandter taucht ganz nebenbei der Gottesbegriff auf, etwa wenn dem Adressaten zur Verabschiedung mit größter Selbstverständlichkeit Gottes Schutz gewünscht wird. Catos Familie hatte also nicht aufgrund einer grundsätzlichen Ablehnung von Religion auf eine Taufe verzichtet. Vielmehr war es ihren Eltern ein wichtiges Anliegen, dass den Kindern Freiräume zur persönlichen Entfaltung zustanden. Dazu gehörte für sie eben auch die Freiheit, selbst über eine mögliche Religionszugehörigkeit zu entscheiden. Als Jugendliche wählte Cato schließlich 1934 für sich den evangelischen Glauben und überzeugte ihre jüngeren Geschwister, sich ebenfalls taufen und konfirmieren zu lassen. Cato beschäftigte sich aber nicht nur intensiv mit dem Christentum, sie war auch offen für andere religiöse und philosophische Ausrichtungen. So schrieb sie ihrer Tante Louise Modersohn 1939 über ihr Interesse an den Werken von Buddha, Lao-Tse (Laozi), Dschuang-Tse (Zhuangzi) und Liä-Tse (Liezi). Im Zuge ihres Englandaufenthalts als Au-pair-Mädchen lernte sie den ebenfalls an Buddhismus und Taoismus interessierten John Hall kennen, mit dem ein intensiver Austausch über religionsphilosophische Fragen möglich war. Gleichzeitig besuchte sie mit ihrer Gastfamilie regelmäßig den Sonntagsgottesdienst und begegnete der methodistischen Glaubenspraxis, deren Schlichtheit sie begeisterte. Dabei hatte sie keine Scheu, die Geistlichen nach Ende des Gottesdienstes anzusprechen, um mit ihnen über die Predigt zu diskutieren. Fasziniert von dieser Welt war Cato zeitlebens auf der Suche nach ihrem inneren Prinzip, der „Wahrheit“.
Es darf aber nicht der Eindruck entstehen, Cato habe sich in irgendeiner Weise in geistige Welten zurückgezogen. Auch die Natur, ferne Länder, sportliche und künstlerische Aktivitäten begeisterten sie. Viele dieser Beschäftigungen standen aber offensichtlich in Wechselwirkung mit ihren philosophischen Auseinandersetzungen. Besonders gilt dies wohl für die Literatur, die in ihrem Leben einen herausragenden Stellenwert einnahm. Theologie und Philosophie ermöglichten ihr ein tieferes Verständnis für Literatur, gleichzeitig leistete die Literatur selbst einen bedeutenden Beitrag bei ihrer religiösen Suche. Inwiefern der Widerstand aber für Cato eine Art des „Gott geschuldeten Dienstes“ darstellte, ist unklar, es überwiegt der Eindruck, dass Cato mehr von einem dem Menschen selbst geschuldeten Dienst ausging.
Während ihrer Haft setzte sie sich noch intensiver mit Glaubensfragen auseinander. Der Zugang zu Literatur war zwar begrenzt, genauso wurde die Zeit zum Lesen eingeschränkt, doch Cato ließ sich dennoch von ihren Verwandten zahlreiche Werke (u.a. von Schopenhauer und Augustinus) schicken. Im Gefängnis entwickelte sie auch Interesse an Themen und Werken, für die sie bisher nicht empfänglich war, etwa das Buch „The New Immortality“ von Dunne, auf das sie ihre Tante Amelie Breling vier Jahre zuvor aufmerksam gemacht hatte. Besonders der Tod beschäftigte sie verständlicherweise immer mehr. Ihre Gedanken teilte sie mit anderen Häftlingen, beispielsweise las sie gemeinsam mit ihrer Zellengenossin Marta Husemann das Evangelium nach Johannes. Später erzählte diese, sie habe noch nie einen Menschen wie Cato kennengelernt, der „fern von jeder kindlichen Religiosität aus dem Innersten so gläubig“ sei. Kindlich war Catos Glaube tatsächlich nicht. Allein die beiden Tatsachen, dass sie zum einen an einer Vielzahl religiöser Vorstellungen und philosophischer Konzepte interessiert war und zum anderen stets die Diskussion suchte, weisen bereits darauf hin, dass sie keinesfalls dazu neigte, religiöse Dogmen unreflektiert zu akzeptieren. Schon in ihrer Kindheit in Fischerhude hatte sie beispielsweise im Religionsunterricht die Missionierungsarbeit der Kirche kritisiert. Sie weigerte sich, die Religionen afrikanischer „Heiden“ als minderwertigen Aberglauben abzutun. Auch die Geistlichen selbst stellten für sie keine unantastbare Autorität dar. So meinte sie, fast alle Pastoren seien „etwas überkandidelt“. Besonders starke Kritik übte sie an der Kirche selbst: Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit sei gewaltig, der Forderung der Bibel nach Nächstenliebe werde die Kirche nicht gerecht. Man könne folglich keinen echten Trost in der Kirche finden. Für Cato war diese Erkenntnis aber keine Enttäuschung, die auf lange gehegte Hoffnungen folgte. Vielmehr gab sie an, nie Trost in der Kirche gesucht zu haben. In der Gefangenschaft hinterfragte sie schließlich auch das Philosophieren selbst. Auf der Suche nach der universellen Wahrheit musste sie feststellen, dass die vielen „Wahrheiten“ großer Denker und Religionsgründer in ihrer Gültigkeit doch immer nur räumlich und zeitlich begrenzt waren. Allein das Neue Testament, vor allem aber die Evangelien schienen ihr eine umfassendere Gültigkeit zu haben. Sie gaben ihr so viel Kraft, dass sie auch ihren Geschwistern – z. T. noch in ihren letzten an sie gerichteten Worten – die systematische Lektüre derselben empfahl. Cato gelang es letztendlich ganz im Sinne der Evangelien, die Angst vor dem Tod zu überwinden, obgleich sie das Leben liebte. Sie ging davon aus, nach dem Tod durch die Auflösung von Zeit und Raum ihren verstorbenen Großeltern wiederzubegegnen. Der Tod stellte für sie kein Ende dar. Vor allem aber zeigte sie in der ausweglosen Situation ihren Mitmenschen gegenüber Liebe, gegenüber den Mitgefangenen wie auch den Wärterinnen. Bis zuletzt glaubte sie an das Gute im Menschen und empfand selbst für ihre Feinde keinen Hass.
Kurz vor ihrer Hinrichtung nahm sie noch ihr Recht auf geistlichen Zuspruch in Anspruch. Sie feierte das Abendmahl mit dem zuständigen Gefängnispfarrer Dr. August Ohm und diskutierte mit ihm über den Glauben. „Wenn doch […] die Menschen zu Gott kämen!“: Mit diesem Wunsch endete ihr Gespräch. Philosophie und Religion waren Cato also wichtige Stützen bei ihrer lebenslangen Suche nach Wahrheit. Obgleich die Evangelien sie besonders begeisterten, war sie für ganz unterschiedliche Einflüsse offen, hinterfragte aber zugleich die unterschiedlichen Haltungen, denen sie begegnete, und suchte stets den Austausch mit anderen. Der Glauben diente Cato nicht zur Abkehr von der Welt, sondern zur Hinwendung zum Leben und zu den Menschen.
(Schüler-Essay von Elisa Reineke, Jg. 12, basierend auf der Literatur von Mietje Bontjes van Beek, Hannelore Kluge und Hermann Vinke)
Die Hitlerjugend: Aufbau und Prinzipien
Die Hitler-Jugend (HJ) wurde auf dem 2. Reichsparteitag der NSDAP vom 3./4. Juli 1926 in Weimar als nationalsozialistische Jugendbewegung gegründet. Gegenüber anderen politischen oder konfessionellen Jugendorganisationen blieb die HJ während der Weimarer Republik eher unbedeutend. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 wandelte sich die HJ durch das Verbot sämtlicher konkurrierender Jugendverbände von einer Parteijugend zur Staatsjugend. Die anfangs noch formell freiwillige Mitgliedschaft wurde am 1. Dezember 1936 durch das „Gesetz über die Hitler-Jugend“ und am 25. März 1939 durch die Einführung der „Jugenddienstpflicht“ zur Zwangsmitgliedschaft. Die Zahl der HJ-Mitglieder stieg von rund 100.000 im Jahr 1932 auf 8,7 Millionen 1939. Nach Einführung der Zwangsmitgliedschaft waren nahezu alle Jugendlichen Mitglied der HJ.
Die uniformiert auftretende und militärisch organisierte HJ, in der das Prinzip „Jugend wird von Jugend geführt“ weitgehend verwirklicht wurde, gliederte sich nach Altersgruppen und Geschlecht: Das Deutsche Jungvolk (DJ) erfasste die 10- bis 14-jährigen Jungen, die eigentliche HJ die 14- bis 18-jährigen Jungen. In gleicher Weise waren die zur HJ gehörenden Mädchenverbände in Jungmädelbund (JM) und Bund Deutscher Mädel (BDM) gegliedert. Hinzu kam 1938 das BDM-Werk „Glaube und Schönheit“ für die 17- bis 21-jährigen Frauen, die - auf freiwilliger Basis - auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet wurden. An Vorabenden des Geburtstags des „Führers“ Adolf Hitler sowie auf Reichsparteitagen wurden die in das Deutsche Jungvolk und den Jungmädelbund eintretenden „Pimpfe“ und „Jungmädel“ ebenso feierlich verpflichtet wie die in die HJ und den BDM überführten 14-jährigen Jungen und Mädel. Jene über 18-jährigen HJ-Mitglieder, die sich zum Eintritt in die NSDAP entschlossen hatten, wurden feierlich in die Partei aufgenommen und öffentlich vereidigt.
Feierliche Aufzüge, Propagandamärsche und Paraden, Fahrten, „Geländespiele“ und geselliges Lagerleben machten die HJ für viele Jugendliche attraktiv. Wesentlicher Bestandteil des HJ-Diensts war der sogenannte Heimabend, an dem sich einmal wöchentlich kleinere HJ-Ortsgruppen trafen, um Aktivitäten vorzubereiten. Zu den Heimabenden zählte das gemeinsame Hören von propagandistischen Radiosendungen, die speziell für die Jugend produziert wurden. Über die HJ erfolgte nicht nur die Vermittlung der NS-Ideologie mit ihrem Wertesystem von Gefolgschaftstreue, Kameradschaft, Pflichterfüllung und Willensstärke, sondern mit der Betonung der körperlichen Leistungsfähigkeit und ihrer paramilitärischen Ausbildung diente die HJ immer stärker der Rekrutierung von Soldaten.
Zahl der Mitglieder der Hitler-Jugend | |
1932 | 100.000 |
1939 | 8,7 Mio. |
(M4 und M5 nach: www.dhm.de; zuletzt eingesehen am 20.02.2016)
Werbeplakat für die „Deutschen Jungmädel“ 1937
Abb.2: „Auch Du gehörst dem Führer“
Aus einer Rede Hitlers in Reichenberg am 02.12.1938
„Der Staat hat seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. [...] Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. Es wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. [...] Ich werde sie in allen Leibesübungen ausbilden lassen. So merze ich die Tausende von Jahren der menschlichen Domestikation aus. Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend. Aber Beherrschung müssen sie lernen. Sie sollen mir in den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen. Das ist die Stufe der heroischen Jugend. Aus ihr wächst die Stufe des Gottmenschen.
Diese Jugend lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln. Wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann nehmen wir sie in die Partei. Dann kommen sie in den Arbeitsdienst, dann übernimmt die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und dann nehmen wir sie in die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben und sie sind glücklich dabei.“
(Völkischer Beobachter vom 4.12.1938, hier zitiert nach: Arno Klönne, Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner. Dokumente und Analysen, Düsseldorf, Köln 1984, S. 30)
Ein Abiturient blickt Ende der 1940er Jahre auf seine Zeit in der Hitlerjugend zurück:
„Diese Kameradschaft, das war es auch, was ich an der Hitlerjugend liebte. Als ich mit zehn Jahren in die Reihen des Jungvolks eintrat, war ich begeistert. Denn welcher Junge ist nicht entflammt, wenn ihm Ideale, hohe Ideale wie Kameradschaft, Treue und Ehre, entgegengehalten werden. Ich weiß noch, wie tief ergriffen ich dasaß, als wir die Schwertworte des Pimpfen lernten: „Jungvolkjungen sind hart, schweigsam und treu; Jungvolkjungen sind Kameraden; des Jungvolkjungen Höchstes ist die Ehre!“ Sie schienen mir etwas Heiliges zu sein. - Und dann die Fahrten! Gibt es etwas Schöneres, als im Kreis von Kameraden die Herrlichkeiten der Heimat zu genießen? Oft zogen wir am Wochenende in die nächste Umgebung von K. hinaus, um den Sonntag dort zu verleben. Welche Freude empfanden wir, wenn wir an irgendeinem blauen See Holz sammelten, Feuer machten und darauf dann eine Erbsensuppe kochten! [...] Und es ist immer wieder ein tiefer Eindruck, abends in der freien Natur im Kreise um ein kleines Feuer zu sitzen und Lieder zu singen oder Erlebnisse zu erzählen! Diese Stunden waren wohl die schönsten, die uns die Hitlerjugend geboten hat. Hier saßen dann Lehrlinge und Schüler, Arbeitersöhne und Beamtensöhne zusammen und lernten sich gegenseitig verstehen und schätzen.“
(Zit. nach: Hass, Kurt; Goes, Albrecht (Hrsg.), Jugend unterm Schicksal. Lebensberichte junger Deutscher 1946-1949, Wegner-Verlag, Hamburg 1950, S. 61 ff.)
Melitta Maschmann, geboren 1918, erinnert sich 1963 rückblickend an ihre Zeit im BdM:
„In diesem Alter findet man sein Leben, das aus Schularbeiten, Familien-Spaziergängen und Geburtstagseinladungen besteht, kümmerlich und beschämend arm an Bedeutung. Niemand traut einem zu, dass man sich für mehr interessiert als für diese Lächerlichkeiten. Niemand sagt: Du wirst für Wesentlicheres gebraucht, komm! Man zählt noch nicht mit, wo es um ernste Dinge geht. Aber die Jungen und Mädchen in den Marschkolonnen zählten mit. [...] Ich wollte aus meinem kindlichen engen Leben heraus und wollte mich an etwas binden, das groß und wesentlich war. Dieses Verlangen teilte ich mit unzähligen Altersgenossen. [...] Unsere Lagergemeinschaft war ein verkleinertes Modell dessen, was ich mir unter Volksgemeinschaft vorstellte. Niemals vorher oder nachher habe ich eine so gute Gemeinschaft erlebt. [...] Unter uns gab es Bauernmädchen, Studentinnen, Arbeiterinnen, Verkäuferinnen, Friseusen, Büroangestellte usw. Geführt wurde das Lager von einer ostpreußischen Bauerntochter. [...] Gestützt auf diese Erfahrung glaubte ich, dass der Musterfall unseres Lagers sich eines Tages ins Unendliche würde vergrößern lassen.“
(Melitta Maschmann, Fazit. Kein Rechtfertigungsversuch, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1963, S. 17 ff.)