„Und wären wir im Himmel und ritten auf Wolken – den Duft der überschwemmten Wiesen und der Erde würden wir sehr vermissen“ – Catos Familie und ihre Kindheit in Fischerhude

Cato Bontjes van Beek, am 14. November 1920 in Bremen geboren, wächst in Fischerhude auf, einem kleinen Dorf, das wegen seines Lichts für Malerinnen und Maler besonders attraktiv ist. Catos Großvater ist Heinrich Breling, der königliche Professor und Hofmaler Ludwigs II., der sich als einer der ersten Künstler um die Jahrhundertwende in Fischerhude, wo er seine Kindheit verbracht hatte, niedergelassen und den Ort entscheidend geprägt hat.

Abb.1: Die Wümme in Fischerhude (Foto: Heiner Otterstedt, Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Abb.2: Olga als Ausdruckstänzerin in Debussys „Claire de lune“ (1920, © Archiv S. Bontjes van Beek )

In den 1920er Jahren wird Fischerhude zum Anziehungspunkt für Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller aus ganz Europa. Heinrich Breling gibt seine ästhetische Ader und Kreativität an seine sechs Töchter weiter, von denen vier künstlerische Berufe ergreifen. Dazu gehört auch die jüngste Tochter, Catos Mutter Olga, die sich zunächst mit Ausdruckstanz einen bedeutenden Ruf erworben und später mit Malerei beschäftigt hat. Heinrich Brelings zweitälteste Tochter Louise heiratet den deutschen Landschaftsmaler Otto Modersohn, seine älteste Tochter Amelie macht sich als Malerin, Bildhauerin und Keramikerin einen Namen und wird eine wichtige Beziehungsperson für ihre Nichten Cato und Mietje sowie deren Bruder Tim.

Olga Breling geht nach ihrer Tanzausbildung an der Isadora- Duncan-Schule in Darmstadt auf zahlreiche Tourneen im In- und Ausland, unter anderem auf Vermittlung von Rainer Maria Rilke. 1919 begegnet sie in Worpswede Jan Bontjes van Beek, den sie schließlich 1920 heiratet. 1899 als Sohn niederländischer Eltern in Dänemark geboren und in Deutschland aufgewachsen, meldet sich Jan Bontjes van Beek 1915 freiwillig zur Kriegsmarine. Als der Erste Weltkrieg zu Ende geht, beteiligt er sich an den Matrosenaufständen der Revolution 1918, weshalb er auch „Roter Matrose“ genannt wird. In Worpswede lebt und arbeitet er vorübergehend auf dem Barkenhoff Heinrich Vogelers, der ein bedeutendes Zentrum für Künstler und Intellektuelle der Zeit ist. Auch Jan selbst hat künstlerische Wurzeln – sein Großvater ist Maler – und so gründet er mit seiner Schwägerin, der Malerin und Bildhauerin Amelie Breling, eine Keramikwerkstatt (die Fischerhuder Kunstkeramik FKK). Nach einer Töpferlehre in Undenheim/ Rhein führen ihn weitere Studienreisen nach Berlin, Prag und Paris, um seine Glasurkenntnisse zu erweitern. Jan Bontjes van Beek ist in der Folgezeit viel auf Reisen. 1932/33 erhält er schließlich über den international bekannten Architekten und Baumeister Fritz Höger den Großauftrag, die Kacheln für die Apsis der evangelischen Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin zu brennen.

Abb.3: Grabdenkmal für Paula Modersohn-Becker auf dem Worpsweder Friedhof, geschaffen von dem westfälischen Bildhauer Bernhard Hoetger; die „Liegende“ trägt Züge von Olga Bontjes van Beek (Grabmal entworfen von Bernhard Hoetger, Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Abb.4: Cato mit Olga und Jan Bontjes van Beek (1921, © Archiv S. Bontjes van Beek)

In diesem Fischerhuder Künstlermilieu wachsen Olgas und Jans Kinder Cato, Mietje und Tim auf, die kurz nacheinander 1920, 1922 und 1923 geboren werden. Beide Eltern sind sehr freiheitsliebend und eigenständig, sie gehen ihren Engagements und Aufträgen nach und wissen zugleich ihre Kinder gut versorgt von Olgas Mutter Amalie und den übrigen Angehörigen.

Dies heißt, dass Olga Anfang der 1920er Jahre weiterhin als Tänzerin auf Tournee im In- und Ausland geht; Jan ist in Fischerhude, besucht aber immer wieder Berlin und andere Städte und Regionen, um Inspirationen für seine Keramiken zu sammeln, Ausstellungen zu gestalten und auch größere Auftragsarbeiten zu absolvieren.

1925 entschließt sich Olga schließlich, ihre Karriere als Tänzerin zu beenden, um in Fischerhude und bei ihren Kindern bleiben zu können, wo sie zu malen beginnt.
Im Haus Breling / Bontjes van Beek herrscht eine offene Atmosphäre. Viele Menschen gehen dort ein und aus. Olga Bontjes van Beek ist mit bedeutenden Künstlern und Schriftstellern der Zeit wie Kurt Schwitters und Joachim Ringelnatz näher bekannt und mit Heinrich Vogeler und dem Philosophen Theodor Lessing befreundet. Auch Helmut Schmidt, der spätere Bundeskanzler, besucht immer wieder das gastfreundliche Haus der Familie. Von den Begegnungen, Gesprächen und der Weltläufigkeit des Hauses sowie des Ortes profitieren die Kinder in besonderem Maße, sie prägen ihr Denken und Handeln von Beginn an.

Abb.5: Amelie Breling (1876–1966) Büste von Olga (1924, © Archiv S. Bontjes van Beek)

Abb.6: Amalie Breling (Porträt von Olga Bontjes van Beek; 1930, 55 x 45 cm, Privatbesitz). Der Leitspruch der Großmutter, die überwiegend auf Cato, Mitje und Tim aufpasste, wenn Olga auf Tournee war, lautete „Dös hamma glei“

Die Atmosphäre in Fischerhude

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„Wie ein weitmaschiges Netz teilt sich der Fluss, windet und streckt sich in vielen Armen durch und um das Dorf. Seine Ufer sind mit Minze und Kalmus bewachsen. Enten bevölkern ihn mit ihrem lauten Geschnatter…Über den alten Strohdächern hängt der Duft von süßlichem Torfrauch. Kinder in Holzschuhen gehen mit Schiefertafeln zur Schule. Hähne krähen. Die Ruhe des Mittags legt sich über das kleine Dorf. Auf der Suche nach dem geheimnisvollen Licht kommen Maler nach Fischerhude und finden dieses Leuchten an den dunklen Wümmestreeks¹, in denen die durchsichtigen alten Weidenbäume, der Himmel und die endlose Weite des Horizonts sich spiegeln.“

(Mietjes Beschreibung des Dorfes Fischerhude; nach: Mietje Bontjes van Beek, Verbrennt diese Briefe, S. 6)

1 Nebenarme der Wümme

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„Wie gern hätte ich ein Landschaftsbild von Dir hier in meiner Zelle. Am liebsten den Blick von der Quelkhorner Mühle auf die Moorfelder... Ich glaube eigentlich ganz feste, daß ich all diese schönen Bilder wiedersehen werde und mein geliebtes Fischerhude. Wenn ich früher auf der Landkarte und in Gedanken ganze Reisen unternahm und mich auf einer Farm in den Wäldern Kanadas oder im Busch in Afrika sah und dann daran dachte, daß ich viele, viele Jahre von Fischerhude fort bin, dann überkam mich eine unendliche Traurigkeit und das Heimweh packte mich, als sei alles wahr, was ich mir ausgedacht habe.“

(Cato am 17. März 1943 aus dem Gefängnis an ihre Mutter; nach: Vinke, Porträt, S. 165)

Abb.7: Olga Bontjes van Beek: Blick vom Mühlenberg in Quelkhorn (1934, 39x46, Privatbesitz)

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„Es ist doch toll, wie man trotz der schönsten Gegenden und der liebsten Menschen nicht das Heimweh nach Fischerhude los wird. Und wären wir im Himmel und ritten auf Wolken, den Duft der überschwemmten Wiesen und der Erde würden wir sehr vermissen. Wie gut verstehen wir deshalb auch die Bücher von Giono². [...]

Die Sonne scheint den ganzen Vormittag auf mein Bett, und ich genieße sie sehr und ebenso nachts den Mond. Wie gut, dass wir die haben, und manchmal denke ich an das Gedicht von Li Tai-po³:

‚Wann werden wir drei uns wiedersehen: Der Mond, mein Schatten und ich?‘

(Cato am 24. März 1943 an ihre Schwester Mietje, nach Vinke, Porträt, S. 165)

2 Frz. Schriftsteller (1895-1970), der vor allem in seinen früheren Schriften naturreligiöse Vorstellungen vertrat

3 Bedeutender chinesischer Lyriker (701-762 n. Chr.)

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Der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt über seine Besuche in Fischerhude und die Begegnung mit den Bontjes van Beeks:

„In (dem) gastfreundlichen kleinen Haus atmete man die Luft der Musik, der Malerei, der Keramik. Es gab bisweilen zugleich andere Besucher, die der Kunst zugetan waren, darunter keine Nazis, wohl aber Menschen von innerer Freiheit. Für mich sind im Kriege und in der Nazi-Zeit die Horizonte über der flachen, weit gespannten Marschlandschaft des Binnendeltas der Wümme, vor allem aber das Bontjes-Haus in der Bredenau, ein Inbegriff der Freiheit geworden [...]Für Cato muss es ähnlich gewesen sein. Es war wohl die offene Atmosphäre des Hauses, noch mehr aber die Mutter Olga, ursprünglich Tänzerin und später Malerin, welche Catos Jugend entscheidend geprägt haben. Olga Bontjes hat ihre Kinder inmitten eines totalitären Systems zur Toleranz erzogen in der Überzeugung, dass Freiheit unmittelbar sei und für alle gelte.“

(zitiert nach: www.zeit.de, Stand: 16.02.16)

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Mietje über die Kindheit in Fischerhude

„Viele Menschen kamen in unser Haus, unter ihnen Freunde, die der Familie geistig nahestanden. Wenn sich die Großen lebhaft unterhielten, wurde unsere Küche zu einem politischen Universum. Wir drei Kinder saßen brav und still am Tisch, versuchten zu verstehen, aber begriffen doch noch wenig. Als wir größer wurden, erkannten wir deutlich die Atmosphäre, die das Denken unserer Eltern und ihre politische Haltung bestimmte.“

(zitiert nach: Vinke, Porträt, S. 32)

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Familie und Freunde

Abb.8: Gruppenbild (1926): in der Mitte (sitzend) Großmutter Amalie, dahinter stehend Olga, links außen Mietje, rechts außen Cato, vorne links (mit Zigarre) Jan (© Archiv S. Bontjes van Beek)

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Tim über die Kindheit in Fischerhude

„Im Sommer haben wir uns in der Wümme ausgetobt. [...] (Wir haben) gebuddelt, Höhlen gebaut und sportliche Wettkämpfe ausgetragen: Weitsprung, Speerwerfen, Diskus oder Hochsprung. Und noch etwas: In den Boden gruben wir die Form eine Flugzeuges, die Flügel, den Rumpf, das Cockpit mit Steuerknüppel. Das war das Spiel, das Cato besonders liebte. Überhaupt, wenn sie ein Flugzeug sah, gab es kein Halten mehr. Sie rastete fast aus, lief dem Flieger nach und war überglücklich. Das Fliegen sollte später Catos große Leidenschaft werden. [...] In der Dorfschule lernten wir zusammen mit den Bauernjungs und den Mädchen. Auch wenn wir die Kinder von Künstlern waren – eine Sonderrolle gab es nicht, für keinen von uns. Cato hat mich oft verteidigt, wenn es mal brenzlig wurde. Dann warf sie sich dazwischen und legte sich für mich gewaltig ins Zeug. Sie war kräftig genug, es mit den Jungs aufzunehmen. Aber Cato konnte sich auch mit dem Mundwerk gut durchsetzen.“

(zitiert nach Vinke, Porträt, S. 32f.)

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Olga Bontjes van Beek und die Kinder

„Wir (Jan und ich, Anm. der Verf.) heirateten bald, am 14. November 1920 wurde Cato geboren. Jan und Amelie gründeten die Töpferei. Es war ein harter Weg, sie aufzubauen… Sobald Cato es mir erlaubte, nahm ich wieder ein Engagement an.“

1922 wird Mietje geboren, Olga bleibt etwas länger in Fischerhude: „Nun lernte ich auch endlich meine Kinder besser kennen, das war sehr wichtig. Sobald ich aber wieder fähig war, ging es noch einmal in die Welt und wieder nach Leipzig.“

Und 1923: „Mein Timbursche hat sich durchgesetzt und meinem anstrengenden Vagabundenleben ein Ende gemacht, wie sich auch später herausstellte – mir zum großen Glück.“

(nach Vinke, Porträt, S. 25f.)

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Olga über Cato

„Cato war die Lyrikerin, verfasste Gedichte und las, las. Schrieb kleine Geschichten und war offen für alles, was sie umgab.“

(nach Vinke, Porträt, S. 29f.)

I. Aufgaben

  1. Beschreiben Sie anhand der vorliegenden Materialien das Milieu und die Atmosphäre, in denen Cato aufwächst.
  2. Arbeiten Sie aus den verschiedenen Aussagen Catos Charakterzüge heraus. Nutzen Sie hierfür die interaktive Arbeitsfläche. Wählen Sie in einem ersten Schritt das Foto aus, das Ihnen am geeignetste scheint, Catos Persönlichkeit abzubilden und legen Sie es auf der Arbeitsfläche ab. Füllen Sie in einem zweiten Schritt die Textkärtchen mit Catos Charakterzügen, Talenten, Träumen und Wünschen aus. Ordnen Sie die Textkärtchen auf und um das Foto herum an. Je näher die Kärtchen an dem Foto liegen, umso stärker sind sie ausgeprägt. Sie können die Textkärtchen auch thematisch gruppieren und in der Größe verändern, um sie so zusätzlich zu gewichten.

© Archiv S. Bontjes van Beek

© Archiv S. Bontjes van Beek

© Archiv S. Bontjes van Beek

Cato TC: 14:07

© Archiv S. Bontjes van Beek

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