Kurz und knackig – Kurzfilme im Unterricht

Der französische Filmpädagoge Alain Bergala plädiert in seinem Buch „Kino als Kunst“ für eine Pädagogik des Fragments. In dem Kapitel „Lob des Ausschnitts“ heißt es:

„Schon immer hat es mich frappiert, wie wirkungsvoll im Filmunterricht Ausschnitte – die Analyse einer Szene, einer Einstellung - sind. Ich plädiere schon lange dafür, sich dem Kino von den Einstellungen her anzunähern […]. An einer einzigen gut gewählten Einstellung ist oft sowohl die Kunst eines Regisseurs abzulesen als auch der historische Moment ihrer Entstehung. Denn in ihr spiegelt sich ein bestimmter Stand der Filmsprache und eine Ästhetik – die zwangsläufig einer bestimmten Epoche angehören -, aber auch ein Stil und die ganz eigene Prägung durch den Autor. Schließlich ist die Einstellung als die konkreteste Einheit des Films auch der ideale Ort einer Begegnung zwischen dem analytischen Ansatz - auf kleinster Fläche sind hier sehr viele Parameter und Elemente der Filmsprache zu beobachten – und der Einführung in den Schaffensprozess, denn an ihr kann man sich über all die Entscheidungen klar werden, die erforderlich sind, um ,eine Einstellung zu machen‘.“

Diesen Ansatz kann man sehr gut mit dem Einsatz von Kurzfilmen im Unterricht umsetzen.

„Die Vorteile des Kurzfilms […] liegen auf der Hand. Sie sind nur wenige Minuten lang und können daher im Rahmen einer Unterrichtseinheit mehrfach gezeigt werden. Sie erfüllen damit leichter eine Grundforderung der filmästhetischen Bildung, nämlich das Recht, einen Film zunächst ohne umfassende pädagogische Aufmerksamkeitslenkung sehen zu dürfen, um den eigenen subjektiven Zugang zu finden.“
„Kurzfilme sind fokussiert, zielstrebig, prägnant, thesenhaft und provozierend. Auf diese Weise machen sie nicht nur eine anschließende Bearbeitung möglich, sondern fordern sie geradezu heraus.“
Genau wie eine Gedichtinterpretation sowohl nach sprachlichen Gestaltungsmitteln und Ausdrucksformen als auch nach Inhalten und Themen fragt, so ist auch für die Arbeit mit Kurzfilmen […] eine zweifache Ausrichtung sinnvoll:
  1. Fokus auf das Medium Kurzfilm und die filmsprachlichen Gestaltungsmittel – als Beitrag zur Medienbildung.
  2. Fokus auf die Fragen, die Thesen oder die Geschichten, die ein Film mit künstlerischen Mitteln thematisiert – als Beitrag zur ethischen, philosophischen, religiösen oder lebenskundlichen Bildung.
Kurzfilme sind also für den Einsatz im Unterricht gewissermaßen „die Musterschüler*innen unter den Filmen.“

Im Folgenden finden sich Anregungen für den Einsatz von Kurzfilmen in der schulischen Filmbildung.

1. Der Filmbeobachtungsbogen

Ein einfach einzusetzendes Mittel ist der Filmbeoachtungsbogen (FBB).

Er ist geeignet sowohl für die Spielfilmanalyse als auch für die Sachfilmerschließung.

Beim Einsatz des FBB geht es im Wesentlichen darum, dass die Schüler in einem ersten Schritt zentrale Bilder eines vorgegebenen Filmausschnitts auswählen und diese Auswahl bezogen auf die vorliegenden analyseschwerpunkte begründen und kommentieren. Das Filmmaterial kann entweder als Link (ggf. mit genauer Angabe des Ausschnittes) als z. B. bei I-Serv in einem für die TN zugänglichen Ordner zur Verfügung stellen.

Wie es bei der Analyse und Interpretation von Texten notwendig ist, die eigenen Beobachtungen am Text zu belegen, geht es hier darum, die eigenen Beobachtungen zum Film anhand von Bildern zu belegen.

Diese Methode führt zu einer Entschleunigung des Sehens, welche die Voraussetzung für ein genaues Hinsehen und gründliches Beobachten ist.

Möchte man mehrere verschiedene Filmausschnitte untersuchen lassen, teilt man die Schüler den verschiedenen Ausschnitten zu. Der FBB muss nach dem Ausfüllen als PDF mit dem sprechenden Dateinamen z.B. bei I-Serv hochgeladen werden. Danach erfolgt die Vorstellung und Besprechung (evtl. erst in der darauffolgenden Stunde). Auch möglich ist eine kollaborative Analyse und Interpretation mit einem Etherpad.

2. Die Verwendung von vorgefertigten Arbeitsblättern

Hier finden sich vorformulierte Aufgabenstellungen zu unterschiedlichen Schwerpunkten eines vorgegebenen Kurzfilms. Am Anfang stehen Aufgaben zu Inhalt und Aufbau, es folgen Aufgaben zu den Figuren, zum Genre, zur filmischen Gestaltung, zur Musik. Dazu gibt es Lösungsvorschläge, die verdeutlichen, worauf die Aufgabenstellung jeweils abzielt. Die genannten Schwerpunkte können natürlich bei jedem anderen Film unter Einsatz des FBB bearbeitet und beliebig erweitert werden.

Die Materialien sind so konzipiert, dass Schüler sie selbstständig bearbeiten können. Es empfiehlt sich aber, ein solches Arbeitsblatt einmal exemplarisch mit der Lerngruppe bearbeitet zu haben.

Zudem können je nach Leistungsvermögen der Lerngruppen Hilfen bei der Bearbeitung der Aufgaben verwendet werden.

„Kurzfilme erleichtern nicht nur die Integration in den Unterricht, sondern entsprechen auch den Sehgewohnheiten der Schüler*innen, die ihre Filmerfahrungen heute eher auf YouTube oder Netflix machen als im Kino.“

3. Einsatz in der Praxis

„Wie man in der Praxis einen Kurzfilm im Unterricht einsetzt, hängt von zahlreichen Faktoren ab, zum Beispiel von der Altersstufe, der Zusammensetzung der Zielgruppe (etwa auch im unterschiedlichen Sprachverständnis), von den angesprochenen Inhalten und Themen und nicht zuletzt von der ästhetischen Form. Dabei sollte man als Lehrende/-r offen für überraschende Erfahrungen sein. Kinder nehmen einen Film oft anders wahr als Jugendliche oder Erwachsene und es ist immer wieder verblüffend, was sie ohne großes Vorwissen oder gar Fachkenntnisse in einem Film sehen und entdecken. Daher hat es sich bewährt, vor einem Kurzfilm allenfalls Erwartungshaltungen und Assoziationen zum Titel oder einem Filmbild abzufragen und im Anschluss einen ungestörten ersten Filmgenuss zu gewährleisten. Nach der Sichtung lassen sich unterschiedliche Wahrnehmungen abfragen und bereits kurz auf einzelne Figuren oder Aspekte eingehen. Nach der zweiten Sichtung, vor der dann schon Beobachtungsaufgaben gestellt werden können, etwa zu einzelnen Figuren, Aspekten oder zum Ton, lassen sich diese Aspekte vertiefen und anhand der Ergebnisse aus der ersten Sichtung strukturieren. Je nach der insgesamt zur Verfügung stehenden Zeit und Länge des Kurzfilms können dann in weiteren Sichtungen oder Teilsichtungen einzelner Sequenzen verschiedene Aspekte des Films genauer herausgearbeitet werden, beispielsweise unter Zuhilfenahme von Arbeitsblättern. Ergänzt wird das in einem kreativen Schaffensprozess eigener Texte und Bilder.“

4. Beobachtungsaufgaben – ja oder nein? Und wenn ja, wie?

Die sehr grundsätzliche Entscheidung, ob man seinem Publikum vor der Sichtung eine (oder mehrere) Beobachtungsaufgabe(n) mit auf den Weg gibt, sollte jeder selbst treffen. Dafür spricht, dass man auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Zusehenden auf bestimmte Aspekte des Films (sowohl thematische als auch filmsprachliche) richten kann. Dagegen, dass eine unvoreingenommene Sichtung auf diese Weise erschwert wird und es dem Publikum schwer gemacht wird, den Film einfach auf sich wirken zu lassen. Die perfekte Lösung dieses Dilemmas ist die […] doppelte Sichtung des Films, die gerade im Kurzfilmbereich gut machbar ist.

Die Beobachtungsaufgaben sollten sich auf inhaltliche und filmsprachliche Elemente beziehen. Dabei empfiehlt es sich, das Publikum in Kleingruppen aufzuteilen, so dass jede Kleingruppe gemeinsam um jeweils eine oder zwei Fragen kümmern kann. Die verschiedenen Aspekte der Beobachtungen können dann im Gespräch nach dem Film zu einer komplexen Analyse zusammengeführt werden. Dabei sollten die Aufgaben präzise, aber offen (und natürlich dem Alter der Schüler*innen gemäß) formuliert sein.

    Beispiele für inhaltlich fokussierte Aufgaben:

  • Welche Geschichte erzählt der Film? Um welche Themen geht es?
  • Wer sind die handelnden Personen? Wie heißen sie und was zeichnet sie aus?
  • Was ist der Ausgangspunkt der Geschichte? Wie hat alles angefangen?
  • Wie entwickelt sich die Handlung? Gibt es Wendepunkte? Wenn ja, welche sind das?
  • Zu welchem Schluss kommt der Film? Lässt sich ein Fazit oder eine Moral ableiten?

    Um sich auf filmsprachliche Aspekte zu konzentrieren, können folgende Bereiche näher untersucht werden:

  • Konzentriert euch auf die Bilder und die Bildgestaltung! Wie setzt der Film seine Protagonisten/Figuren ins Bild? Wie arbeitet der Film mit Licht und Farben?
  • Hört genau hin und schließt ab und zu mal kurz die Augen! Wie ist die Ton-Ebene des Films gestaltet? Gibt es einen Kommentar? Wie ist der Kommentar im Film integriert und welche Funktion erfüllt er?
  • Gibt es Musik? Wenn ja welche und wie wirkt sie auf euch? Erinnert ihr euch an einzelne Szenen, in denen die Musik euch besonders stark berührt hat? Beschreibt diese den anderen und schaut sie euch gegebenenfalls noch einmal gemeinsam an!
  • Um den Schnitt, bzw. die Montage näher zu betrachten, ist es meist am besten, das an einer Beispielszene zu tun, die ganz bewusst daraufhin untersucht wird. Im Filmverlauf ist es für Kinder oft sehr schwer, die Montage bewusst wahrzunehmen.

Natürlich müssen diese beispielhaften Fragen auf den jeweiligen Film, das Unterrichtsziel bzw. Alter und Vorwissen des Publikums abgestimmt gestellt werden (und können auch deutlich konkreter auf den Film eingehen als diese Beispielfragen). Die Bearbeitung der Beobachtungsaufträge sollte nach einer allgemeinen Frage- und Feedbackrunde direkt im Anschluss an den Film erfolgen und kann zwischen 10 und 40 Minuten dauern. Es ist sinnvoll, die Ergebnisse in Stichworten an der Tafel zu visualisieren, um die verschiedenen Beobachtungen im Anschluss zu einer gemeinsamen Analyse verknüpfen zu können.

Quelle: https://www.shortfilm.de/kurzfilm-macht-schule/

5. Wie ist die Rechtslage bei Kurzfilmen für den pädagogischen Einsatz?

„Wer nach passenden Kurzfilmen sucht, stößt schon bei einer flüchtigen Internetrecherche auf eine fast unendliche Zahl von Filmen, die in Frage zu kommen scheinen. Allerdings sollte man sich davor hüten, das erstbeste Suchergebnis direkt in der Schule vorzuführen, denn die Frage, ob die Nutzung eines Kurzfilms, den man bei YouTube oder Vimeo gefunden hat, im Unterricht legal ist, ist für den Laien kaum zu beantworten. Dabei ist die Verwendung von YouTube im Unterricht grundsätzlich durchaus gestattet, das Problem besteht viel eher darin, dass nicht nachvollziehbar ist, ob ein Film legal oder rechtswidrig auf die Plattform gelangt ist. Wurde ein Kurzfilm ohne das Wissen der Rechteinhaber illegal bei YouTube hochgeladen, dann machen sich auch diejenigen einer Urheberrechtsverletzung strafbar, die den Film im Unterricht zeigen.

Mehr zu Urheber- und Vorführrechten hier: https://www.wer-hat-urheberrecht.de

Für Deutschland ist die Rechtslage für Schulen auf der Website der baden-württembergischen Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen zu finden: Urheberrecht in der Schule – Film