Moderne landwirtschaftliche Großbetriebe stellten oft nur zur Bestellung der Felder oder zur Ernte eine größere Zahl von Arbeitskräften ein. Vor allem in den nordostdeutschen Provinzen musste die ärmere Landbevölkerung nach solchen Verdienstmöglichkeiten suchen. Gearbeitet wurde im Rhythmus der Natur, d.h. von Sonnenauf- bis Untergang.
Es zeigt sich überall, dass besonders Mädchen von Vorarbeitern, Unternehmern und Aufsehern als Wanderarbeiterinnen angeworben werden, um im Rübenbau, bei Erntearbeiten und beim Torfstechen verwendet zu werden. Wenn es den Zuckerrübenproduzenten gelingen sollte, überall ledige Mädchen zur Accordarbeit zu erhalten, dann hätten sie die denkbar billigsten Arbeitskräfte gewonnen. Diese Wandermädchen sind tatsächlich das billigste Arbeitsmaterial, und von ihnen erhalten die Vorarbeiter und Aufseher die größten Lohnabzüge als Nebengewinn. Es scheint bereits das Lohnniveau und die persönliche Lage dieser Wanderarbeiterinnen so weit gesunken zu sein, dass sie nicht nur unter den Gelegenheitsarbeiterinnen, sondern auch unter den Fabrikmädchen stehen. (…)
Je mehr Frauen nach Sachsen als Wanderarbeiterinnen gehen, desto rascher entsteht ein Mädchen- und Frauenproletariat (…). Es kann ein normales Familienleben nicht mehr bestehen, wenn die Arbeiter Personen, die zwei oder drei uneheliche Kinder geboren haben, heiraten oder gar mit denselben im Konkubinat zusammenleben müssen.
Bearbeitet, nach C.A. Zakrzewski, Zur ländlichen Arbeiterfrage im Osten Deutschlands, in: Schmollers Jahrbuch 14 / 1890, S.891-911, S.900f.
Der Verdienst des Vaters war gering, sodass die Mutter trotz der neun Kinder in die Arbeit gehen musste. Da es für uns zu weit in die Fabrik war, machten wir Heimarbeit. Wir mussten Knöpfe annähen.
Als ich 12 Jahre alt war, musste ich in die Textilfabrik gehen, wo damals noch die Arbeitszeit von 5 Uhr früh bis 7 Uhr abends dauerte. Nachmittags von 4 bis 6 Uhr besuchten wir die Fabrikschule, welche neben der Fabrik in einem Gasthaus abgehalten wurde. Von 6 bis 7 Uhr ging es wieder in die Fabrik. Mit dem Lernen war freilich nicht viel los, wir betrachteten die zwei Stunden mehr als eine Erholung. Die Arbeit war nervenanspannend.
Eine Zeit lang bin ich abends nach Hause schlafen gegangen, da musste ich schon um halb vier früh aufstehen, denn der Weg in die Fabrik war ein sehr langer. Eine Zeit lang wieder war ich die ganze Woche in Logis, bloß samstags ging ich nach Hause. (…) Der Verdienst war klein. Die zwei Stunden Schulbesuch wurden uns natürlich abgezogen. Wenn ich dann das Logis bezahlt hatte, blieb nur ein kleiner Betrag übrig, und da wartete samstags schon der Vater auf mich, um mir das Geld abzunehmen.
Zit. Nach R. Klucsarits (Hg.), Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht, 1975, S.84f.
In bürgerlichen Familien war die Anstellung von Dienstmädchen selbstverständlich. Die Mädchen, die
meistens vom Land kamen, wurden schlecht bezahlt und waren schlecht untergebracht.
Eine
bürgerliche Dienstherrin beschreibt den Arbeitsplatz ihres „Mädchens“:
Von ¼7 – 7 | Feueranmachen und zwei Paar Stiefel putzen |
Von 7 – ¼8 | Kleider reinmachen |
Von ¼ 8 – ½ 8 | Kaffetrinken des Mädchens |
Von ½ 8 – ¼ 9 | das Esszimmer einmachen |
Von ¼ 9 – ½ 9 | 2 Lampen putzen |
Von ½ 9 – 9 | den Korridor und das Mädchenbett besorgen |
Um 9 Uhr | Gemüse putzen und zum Mittag aufsetzen. |
Von ½ 10 – 10 | das Schlafzimmer der Frau besorgen |
Von 10 – ½ 1 | Mittag kochen, abwaschen und Tisch decken. Das Mittagessen muss pünktlich um ½ 1 Uhr fertig sein, Mittagessen dauert für Herrschaft und Mädchen in aller Ruhe bis ½ 2 Uhr. |
Von ½ 2 – ½ 4 | abwaschen und Küche besorgen |
Von ½ 4 – 4 | muss das Mädchen sich zum 2. Male waschen und anziehen und Montag und Dienstag für sich Handarbeiten machen. |
Mittwoch Nachmittag hat das Mädchen für sich.
Donnerstag werden die Möbel und Teppiche
geklopft, Nachmittags Silber, Türklinken und Ofentüren geputzt.
Freitag werden die Fenster
geputzt und Waschgeschirre geseift. Nachmittags die Küche gründlich gereinigt.
Sonnabend Speise
kochen und Lampen gründlich reinigen.
Wäsche von uns zwei Leuten alle 14 Tage in meiner Küche
ist eine Arbeit von ½ Tag. Ausgehen darf mein Mädchen jeden Sonn- und Feiertag im Sommer von Mittags
12 bis Abends 11 Uhr, im Winter von 3 Uhr Nachmittags bis 11 Uhr Abends.
Zit. Nach V. Schultz, In Berlin in Stellung. Dienstmädchen im Berlin der Jahrhundertwende, Berlin (West), 1989, S.37.
Ottilie Baader kam aus einer Arbeiterfamilie in Frankfurt/Oder. Als Fabrikarbeiterin schloss sie sich der Arbeiterbewegung an und war maßgeblich am Aufbau der Gewerkschaften beteiligt.
Ich kam erst etwa im zehnten Jahr in die Schule. (…) Lange bin ich nicht in die Schule gegangen. Als ich 13 Jahre alt wurde, zog der Vater mit uns nach Berlin, und hier war es mit meinem Schulbesuch vorbei. Ich musste arbeiten und musste mitverdienen. (…) In der Schule war ich immer gelobt worden, weil ich gut nähen und vor allem gute Knopflöcher machen konnte. Die Frau eines Sattlergesellen hatte in der Neanderstraße eine Nähstube für Oberhemden. Es wurde noch alles mit der Hand genäht, Nähmaschinen waren noch wenig im Gebrauch. Einen Monat lernte ich unentgeltlich, dann gab es monatlich 2 Taler. 2 Jahre später verdiente ich schon 3 Taler jeden Monat. Dabei aber blieb es dann auch einige Jahre. Um noch etwas nebenbei zu verdienen, nahm ich abends Manschetten zum Durchsteppen mit nach Hause – das hieß: mit der Hand immer über zwei Fäden. Einen Groschen gab es für das Paar. Wie oft mögen mir jungem Ding da wohl die Augen zugefallen sein, wie mag der Rücken geschmerzt haben. 12 Stunden Arbeitszeit hatte man immer schon hinter sich, von morgens 8 bis abends 8 mit kurzer Mittagspause.Zit. N. Ottilie Baader, Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen (1921), Berlin 1979, S.12ff,
Wanderarbeiterin | |
Textilarbeiterin | |
Dienstmädchenarbeit | |
Heimarbeiterin |